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Ein wenig aus dem ersten Kapitel (Hippias hat die Nase so voll von seiner Familie! Und fast auch von Olympia ...):
"Was bildest du dir ein? Das kommt überhaupt nicht in Frage! Wir haben eine Abmachung, Kapros, und du hältst dich daran!" Troilos stand mit zornrotem Kopf vor seinem ältesten Sohn. Kapros' jüngerer Bruder Hippias saß draußen vor dem offenen Hoftor und hielt sich die Ohren zu. Er wusste nicht mehr, wie oft die beiden sich in der letzten Zeit schon lautstark gestritten hatten. Und er konnte es einfach nicht mehr hören. "Aber ich halte mich doch daran!", explodierte Kapros. "Was willst du denn noch? Ich trainiere wie ein Verrückter!" "Das reicht nicht! Du bist für den Fünfkampf und für das Ringen angemeldet. Ich will, dass du in Olympia siegst. Und dass dieser Kallippos einen Denkzettel bekommt. Aber wie oft soll ich dir noch sagen, dass das nicht geht, wenn du mit deinem Kopf andauernd woanders bist? Du hältst dich nämlich nicht an die Abmachung! Und die ist doch wohl ganz einfach: Erst Olympia und dein Sieg, dann dein hoch geschätzter Xenophon und die Ausbildung zum Redner und Politiker! Ende der Diskussion." Empört blitzte Troilos seinen Sohn an. Er war Trainer im Pentathlon, im Fünfkampf. Er war ein guter Trainer, denn er war selbst Fünfkämpfer gewesen. Seit zehn Monaten bildete er Kapros aus. Diskuswerfen, Weitsprung, Speerwerfen, Laufen und Ringen waren die fünf Disziplinen, die sein Sohn beherrschen musste, wenn er bei den Heiligen Spielen in Olympia siegen wollte. Er wusste, dass sie beide ihr Bestes gaben, aber trotzdem war Kapros ihm nie gut genug. Nie war er ihm schnell oder stark oder geschickt genug. "Dein Gebrüll geht mir auf die Nerven. Ich gehe jetzt trainieren." Kapros nahm sein Bündel und lief zornig die zwei Stufen hinunter, auf denen Hippias saß. "Halt, halt, halt! So geht das nicht! Ohne mich wird das nichts!" Auch Troilos stürmte wütend an Hippias vorbei und holte seinen ältesten Sohn ein. Hippias blickte ihnen nach. Wenn er nicht so traurig gewesen wäre, hätte er lachen müssen. Die beiden wussten bestimmt nicht, wie ähnlich sie sich sahen. Sie hatten die gleichen Bewegungen, als sie jetzt auf der Straße zum Fünfkampfstadion hier in Elis grimmig nebeneinander herstapften: ein großer, durchtrainierter junger Mann und ein etwas kleinerer, schon rundlicher älterer Mann. Hippias seufzte. Er bewunderte seinen großen Bruder sehr. Kapros war mutig und stark. Hippias hätte sich nicht getraut, seinem Vater zu widersprechen, auch wenn er im Recht gewesen wäre. Dafür war er einfach viel zu ängstlich. Er fürchtete sich vor Troilos' Wutausbrüchen. Jedes Mal schnürten sie ihm die Kehle zu, und er wäre am liebsten weggerannt. Feige. So nannte man das. Dabei wusste er, dass er ganz tief drinnen mutig war. Sehr mutig sogar. Nur eben bei seinem Vater nicht. "Argos!", rief er leise, als er die beiden Streithähne nicht mehr sehen konnte. Der große Hund hob träge seinen Kopf und blickte fragend in die Richtung des Jungen. Sollte er wirklich bei der Hitze aufstehen? Aber dann erhob er sich langsam, streckte sich und schüttelte den Sand aus seinem Fell. Gemächlich trottete er auf Hippias zu und stupste ihn mit der Nase an. "Du bist mein bester Freund!", wisperte Hippias ihm ins Ohr und streichelte über das struppige Fell. Argos senkte genüsslich den Kopf, damit der Junge ihn hinter beiden Ohren kraulen konnte. Das mochte er am liebsten. Dann ließ er sich mit einem zufriedenen Seufzen auf den Boden plumpsen. Hippias nahm ein Steinchen von der Straße und ritzte "Nike" in den Sand. Wie oft hatte er dieses Wort in letzter Zeit gehört! Nike. Es bedeutete Sieg. Und Nike hieß auch die Siegesgöttin, die sein Vater seit zehn Monaten ständig um Beistand bat. Wegen Olympia. Und wegen Kallippos. Hippias seufzte wieder. Seit einem Monat war alles noch schlimmer geworden. Alle Trainer und Athleten, die an den Heiligen Spielen teilnehmen wollten, hatten hierher nach Elis kommen müssen, um sich gemeinsam vorzubereiten. So lauteten die Regeln. Auch der Fünfkampftrainer Kallippos aus Athen und sein Sohn Kylon waren gekommen. Seitdem war Troilos noch unausstehlicher geworden. Eilige Schritte schreckten Hippias aus seinen Gedanken auf, auch Argos hob den Kopf. Im nächsten Augenblick standen Hippias' Freunde Pasion und Nike vor ihm. Rasch wischte er mit dem Fuß das Wort aus dem Sand. Vielleicht hätte Nike gemeint, dass er es geschrieben hatte, weil sie so hieß. Aber das stimmte nicht. "Komm schnell!", rief Pasion außer Atem. "Dein Vater tobt vor dem Stadion!" "Ja", sagte seine Schwester aufgeregt. "Kallippos und er brüllen sich an." Hippias sah bestürzt zu den beiden auf. "Und was soll ich dagegen tun?" Pasion und Nike waren seine Freunde, solange er denken konnte. Pasion war schon elf, ein Jahr älter als Nike und Hippias, und freute sich darauf, dass auch er ab dem nächsten Jahr an den sportlichen Wettkämpfen für Jugendliche teilnehmen durfte. Nike sah Hippias nicht so oft, denn wie alle Mädchen musste sie meistens im Haus bei ihrer Mutter bleiben und durfte auch nicht allein weggehen. Aber während der aufregenden Zeit vor den Heiligen Spielen, wenn Elis voller Menschen von überallher war, konnte niemand Nike im Haus halten. Pasion passte auf sie auf, also drückte ihre Mutter ein Auge zu. "Nun komm schon!", drängte Pasion wieder. "Es klingt wirklich böse! So, als ob sie sich die Köpfe abreißen wollten! He, du, lass das!" Er beugte sich herunter und zupfte Argos an den Ohren, der begeistert an Pasions Sandalen knabberte. Hippias zuckte mit den Schultern. "Auf mich hören sie doch sowieso nicht!" Aber Nike packte seinen Arm. "Mein Vater hat gesagt, er wird Kapros ausschließen, wenn das so weiter geht!" Das brachte Leben in Hippias. Nach allem, was hinter ihnen lag, durfte das auf keinen Fall passieren! Dann waren Troilos' Wutausbrüche und Kapros' Anstrengungen umsonst gewesen. Pasions und Nikes Vater Eupolis hatte die Macht, Athleten von den Spielen auszuschließen. Er war der oberste der zehn Kampfrichter, die für die Spiele ausgelost worden waren. Sie kamen wie er alle aus Elis, denn die Stadt organisierte die Spiele im Heiligtum von Olympia. Einen Monat lang begutachteten die Kampfrichter vor den Spielen nicht nur Pferde und Fohlen auf ihre Tauglichkeit im Hippodrom, der Pferderennbahn. Auch alle Athleten und Trainer mussten sich unter ihrer Aufsicht friedlich zusammen vorbereiten. War einer von ihnen nicht in Form oder brach den olympischen Frieden, wurde er ausgeschlossen. So oft, wie Troilos in letzter Zeit getobt hatte, war es wirklich erstaunlich, wie wohlwollend die Kampfrichter noch geblieben waren. Wahrscheinlich waren sie es nur wegen Kapros, denn der hielt sich immer aus dem Streit zwischen Troilos und Kallippos heraus. Hastig sprang Hippias auf und lief los. Argos entschied, dass Laufen zu anstrengend war, und streckte sich wieder aus, aber Pasion und Nike folgten ihrem Freund. Sie rannten die Straße hinauf und weiter zur Agora, dem Marktplatz von Elis, der vor Menschen wimmelte. Schließlich standen sie atemlos beim Viereckigen Gymnasion, einem quadratischen Übungsplatz, wo auch die Fünfkämpfer trainierten. Der Streit war offenbar vorüber. Eine Menschentraube wartete noch vor dem Gymnasion feixend oder kopfschüttelnd auf mehr, aber Stockträger waren schon dabei, sie zu zerstreuen. Eupolis stand in dem langen, purpurnen Gewand der Kampfrichter zwischen Troilos und Kallippos und sprach beruhigend auf sie ein. Hippias konnte erkennen, dass sein Vater rot vor Zorn war und Kallippos ihn amüsiert musterte. Plötzlich stieß Nike Hippias mit dem Ellbogen an und zeigte auf den Eingang des Gymnasions. Kapros kam heraus. Mit entschlossenem Gesicht ging er schweigend an allen vorbei zu den Bädern. Kylon kam hinter ihm her und rief spöttisch: "Du Schwächling!" Kallippos grinste breit bei dem Ausruf seines Sohnes, und Troilos konnte sich nur mit Mühe beherrschen. Die Zuschauer drängten sich wieder heran. Wie würde Kapros reagieren? Aber Kapros war klug und besonnen genug, nicht auf die Sticheleien einzugehen. Unbeirrt und mit sehr geradem Rücken ging er weiter. Hippias wusste, was sein Bruder dachte. Er würde diesem großmäuligen Kerl auf seine Art zeigen, dass er ihm über war. Er würde ihn bei den Spielen besiegen. Und dann würde er sich endlich mit dem beschäftigen dürfen, was ihn wirklich interessierte: mit der Politik! Troilos starrte seinem Sohn hinterher und folgte ihm dann schweigend, ohne Kallippos noch eines Blickes zu würdigen. "Was soll das?", fragte Nike. Sie hatte alles genauso gespannt wie ihr Bruder und Hippias beobachtet. "Warum streiten sie sich dauernd? Ich verstehe das nicht!" "Vater hat sich auch schon gewundert", sagte Pasion. "Kapros hat noch mehr Gegner und alle versuchen zu prahlen und den anderen vor dem Kampf Angst einzujagen. Aber dein Vater ist auf keinen so wütend wie auf Kallippos und Kylon." In diesem Moment drehte Kallippos sich um und entdeckte Hippias. "Bestell deinem Vater, er soll gut auf Kapros aufpassen", rief er ihm zu. "Am Ende geht es seinem Sohn in Olympia wie damals ihm!" Dann ging er grinsend zu Kylon ins Gymnasion zurück. Hippias erstarrte. "Und was sollte das jetzt?", fragte Pasion verblüfft.
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